DIE FÄRBE
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Peter Simon

„Das also ist Singen am Hohentwiel, Landkreis Konstanz, die Stadt der Brühwürfel, etwa 50.000 Einwohner. Ein Suppenkonzern, ein Aluminiumwerk, schnurgerade, etwas triste Durchgangsstraßen, eine kleine Fußgängerzone unter den klotzigen Betonwänden eines Großkaufhauses, oben auf dem steilen Vulkankegel des Hohentwiel eine weitläufige Burgruine aus dem Mittelalter … Vor hundert Jahren etwa hat der junge Frank Wedekind als Chef des Reklame- und Pressebüros der Firma Maggi für die Brühwürze geworben. Das war bis vor kurzem die engste Verbindung, die sich zwischen der Stadt Singen und der Kultur herstellen ließ. Bis vom Rande des Städtchens, von dort, wo das Flüßchen Aach zwischen Gärten und alten Bauernhäusern hindurch plätschert, seltsame Nachrichten in die deutsche Theaterlandschaft sickerten: Hier in der ‚Färbe‘, der umgebauten Scheune eines alten Färbereigebäudes, sollte es ein Theater geben, das von sich reden macht …“

Dies waren die Eindrücke eines Theaterkritikers der „Süddeutschen Zeitung“, der 1988 aus München angereist war. Damals wurde das 10jährige Jubiläum des Theaters mit einer Reihe von Ur- und Erstaufführungen gefeiert, und bereits zu jener Zeit war die kleine Privatbühne im Hegau mehr als ein Geheimtipp unter Theaterleuten. Die überregionale Presse, Agenturen und Institute waren aufmerksam geworden, die Feuilletons großer Tageszeitungen und führende Fachzeitschriften berichteten über die unkonventionellen Inszenierungen und den außergewöhnlichen Spielplan, der die „Färbe“ bis heute auszeichnet.

Als das Theater am 19. Oktober 1978 (schon tags zuvor, am 18. Oktober, fand die „Handwerkerpremiere“ statt) mit der Premiere von „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett eröffnet wurde, war dies der Versuch, den Beweis anzutreten, daß professionelles Theater an jedem Ort möglich ist, daß ernsthafte Theaterarbeit überall ihr Publikum findet, sei es in der Großstadt oder etwa in der kulturellen „Diaspora“ eines ländlich strukturierten Raumes. Denn das Mißtrauen gegenüber dem Vorhaben Theater in der Färbe war groß: Singen als Arbeiter- und Industriestadt im provinziellen Grenzland sei kein passender Standort, es sei kein Publikum für ein kulturelles Angebot jenseits des Massengeschmacks vorhanden. Diesem Vorurteil galt es zunächst entgegenzutreten.

Peter Simon, Theatergründer und Initiator der Idee „Färbe“, verließ mit 40 Jahren den etablierten Theaterbetrieb und kehrte in seine Geburtsstadt Singen zurück. Dort konnte er die Landwirtin und Eigentümerin Gertrud Waibel für seinen Plan gewinnen, das landwirtschaftliche Anwesen, das sich seit über 200 Jahren im Besitz ihrer Familie befindet und ehemals eine Stoff-Färberei beherbergte, in ein Kneipentheater mit angeschlossener Ballettschule umzubauen. In seiner Frau Milly van Lit hatte Peter Simon eine kongeniale Partnerin. Nach einer internationalen Tanz-Karriere gründete sie die Ballettschule „Die Färbe“ und übernahm einige Jahre später die geschäftsführende Leitung des Theaters.

Der Erfolg von „Warten auf Godot“ war überwältigend und ermutigte zu weiteren Produktionen, die Färbe war schnell zum Anziehungspunkt für ein großes Publikum aus der ganzen Region geworden. Doch trotz ausverkauftem Haus, sparsamsten Wirtschaftens und selbstausbeuterischem Einsatz aller Beteiligten stand die kleine Bühne nach einem Jahr vor dem Aus. Wenngleich erwiesen war, daß das Unternehmen in künstlerischer Hinsicht eine Zukunft vor sich hatte, führten die folgenden Jahre zu zähen Auseinandersetzungen und harten Kämpfen um öffentliche Zuschüsse. Die Stadt Singen beteiligte sich zunächst mit einem kleinen Betrag, der in den folgenden Jahren angehoben wurde. Das Land Baden-Württemberg stieg in die Förderung ein und erließ im Stuttgarter Landtag die „Lex Färbe“ (Landeszuschüsse bereits nach 5 statt wie bislang 10 Jahren), nachdem die Färbe alle Kriterien eines professionellen Theaterbetriebs erfüllte. 1980 wurde der Verein zur Förderung des Theaters „Die Färbe“ e.V. gegründet, der das Theater in der Bürgerschaft repräsentiert und finanziell unterstützt.

2001 bekam das Theater die „Basilika“, ein ehemaliges Umspannwerk, von der Stadt Singen als zweite Spielstätte zur Verfügung gestellt, die in der Zukunft für das Theater wohl von wachsender Bedeutung sein wird. Stadt und Land stehen mit ihrer institutionellen Förderung hinter der kleinen Privatbühne. Kulturell hat sich in Singen in den letzten Jahren einiges getan. Doch das Theater „Die Färbe“ wird gerade wegen seines Nischendaseins geschätzt: eigene, professionelle, vor Ort in Singen produzierte Inszenierungen.